Frühe Jahre und Ausbildung
Am 16. September 1943 wurde Oskar Lafontaine als Zwillingskind in Saarlouis-Roden geboren. Sein Vater Hans Lafontaine, von Beruf Bäcker, fiel im Zweiten Weltkrieg. Seine Mutter Katharina, geborene Ferner, zog ihn und seinen Zwillingsbruder allein auf.
Nach seinem Abitur am Regino-Gymnasium in Prüm (Eifel) im Jahr 1962 studierte Lafontaine Physik an den Universitäten Bonn und Saarbrücken. Während seines Studiums erhielt er Unterstützung durch die Studienförderung der Deutschen Bischöfe (Cusanus Werk). 1969 schloss er sein Studium erfolgreich als Diplomphysiker ab.
«Die Physik hat mir beigebracht, komplexe Probleme analytisch zu betrachten. Diese Denkweise hat mich mein Leben lang begleitet.»
Bereits während seines Studiums begann Lafontaines politisches Engagement. 1966 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ein und engagierte sich zunächst bei den Jungsozialisten (Jusos). Sein Einstieg in die aktive Politik erfolgte 1968, als er Mitglied im Landesvorstand der SPD im Saarland wurde.
Chronologie der frühen Jahre
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Politische Karriere
Aufstieg in der Kommunalpolitik und im Saarland
Lafontaines politische Karriere begann in der Kommunalpolitik. Von 1969 bis 1970 war er Mitglied des Stadtrats in Saarbrücken. Parallel dazu arbeitete er von 1969 bis 1974 als Angestellter der Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Saarbrücken mbH und wurde 1971 Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Straßenbahnen in der Saartal AG.
Von 1970 bis 1975 vertrat er die SPD als Abgeordneter im Saarländischen Landtag. Seine kommunalpolitische Karriere setzte er von 1974 bis 1985 fort, zunächst als Bürgermeister und ab 1976 als Oberbürgermeister der Stadt Saarbrücken.
Ein bedeutender Karrieresprung erfolgte im März 1985, als die SPD unter seiner Führung bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit erreichte. Am 9. April 1985 wurde Lafontaine zum Ministerpräsidenten des Saarlandes ernannt – ein Amt, das er bis 1998 innehaben sollte.
Erfolge als Ministerpräsident:
- Erhalt des Saarstahl-Konzerns trotz der Stahlkrise
- Zusammenschluss mit der Dillinger Hütte in einer Holding
- Soziale Abfederung des Personalabbaus in der Stahlindustrie
- Anerkennung der Gesamtschule als Regelschule im Saarland
Positionen auf Bundesebene:
- Gegner des NATO-Doppelbeschlusses
- Kritik an der Kernkraft
- Forderung nach Austritt aus der militärischen NATO-Organisation
- Einsatz für Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich
Bundespolitik und Kanzlerkandidatur
Parallel zu seiner Tätigkeit als Ministerpräsident gewann Lafontaine zunehmend an Einfluss in der Bundespolitik. Von 1979 bis 1999 war er Mitglied des Bundesvorstandes der SPD. Im Juni 1987 wurde er neben dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau zweiter stellvertretender Parteivorsitzender der SPD und geschäftsführender Vorsitzender der Programmkommission.
Ein einschneidendes Ereignis in Lafontaines Leben war das Attentat am 25. April 1990. Bei einem Wahlkampfauftritt in Köln-Mülheim wurde er von einer psychisch kranken Frau mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich am Hals verletzt. Von dieser Verletzung erholte er sich jedoch rasch.
Im September 1990 wurde Lafontaine auf dem SPD-Vereinigungsparteitag in Berlin nahezu einstimmig zum Kanzlerkandidaten der vereinigten SPD für die Bundestagswahl im Dezember gewählt. Bei dieser Wahl erreichte die SPD mit 33,5 Prozent der Stimmen ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis seit 1957 und unterlag der CDU unter Helmut Kohl deutlich.
«Nach dem Fall der Mauer warnte ich vor einer ’nationalen Besoffenheit›. Die finanziellen Folgen der Wiedervereinigung wurden damals unterschätzt.»
Ein weiterer Höhepunkt seiner Karriere war die Wahl zum Bundesvorsitzenden der SPD am 16. November 1995, als er sich in einer Kampfabstimmung gegen Rudolf Scharping durchsetzte. Nach dem Wahlsieg der SPD bei den Bundestagswahlen 1998 wurde Lafontaine zum Bundesfinanzminister in der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder ernannt.
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Politische Positionen und Überzeugungen
Oskar Lafontaine vertrat im Laufe seiner politischen Karriere eine Reihe von charakteristischen Positionen, die ihn innerhalb der deutschen Linken auszeichneten. Seine Überzeugungen waren oft kontrovers und führten zu Konflikten innerhalb seiner jeweiligen Parteien.
Kernpositionen
- Starker Befürworter des Sozialstaats
- Kritiker der Globalisierung und des Neoliberalismus
- Verfechter einer keynesianischen Wirtschaftspolitik
- Gegner der NATO-Osterweiterung
- Skeptiker gegenüber der europäischen Währungsunion
Kontroverse Standpunkte
- Kritische Haltung zur deutschen Wiedervereinigung
- Ablehnung der Agenda 2010 unter Schröder
- Zunehmend kritische Position zur Migrationspolitik
- Verständnisvolle Haltung gegenüber Russland
- Fundamentalopposition zur NATO
Wirtschafts- und Sozialpolitik
In der Wirtschaftspolitik vertrat Lafontaine stets eine keynesianische Linie mit Fokus auf Nachfrageorientierung. Er setzte sich für höhere Löhne, eine stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen und eine Ausweitung des Sozialstaats ein. Diese Positionen brachten ihn in Konflikt mit dem wirtschaftsliberaleren Flügel der SPD und später mit der Agenda-Politik unter Gerhard Schröder.
Als Finanzminister kritisierte er die Zinspolitik der Deutschen Bundesbank und forderte eine stärkere öffentliche Debatte über die Geldpolitik. Seine Skepsis gegenüber der europäischen Währungsunion und seine Forderung nach einer stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa waren weitere Kennzeichen seiner Position.
Außen- und Sicherheitspolitik
In der Außenpolitik positionierte sich Lafontaine als Kritiker der NATO und befürwortete eine friedliche Außenpolitik. Er lehnte deutsche Militäreinsätze außerhalb des NATO-Vertragsgebietes ab und plädierte für Abrüstung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sprach er sich für eine Sicherheitsgarantie der NATO gegenüber den osteuropäischen sowie den sowjetischen Nachfolgestaaten aus.
«Ich habe immer für das Konzept einer friedlichen Außenpolitik plädiert. Militärische Interventionen lösen selten Probleme, sondern schaffen oft neue.»
Seine Haltung zur deutschen Wiedervereinigung war zurückhaltend. Nach dem Fall der Mauer warnte er vor einer «nationalen Besoffenheit» und kritisierte die hohen jährlichen Transferzahlungen von West nach Ost, da sie den Staatsfinanzen kaum noch Raum für öffentliche Investitionen ließen.
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Kontroversen und Brüche
Der Bruch mit Schröder und der SPD
Der wohl dramatischste Moment in Lafontaines politischer Karriere war sein überraschender Rücktritt am 11. März 1999. Nach nur 186 Tagen im Amt erklärte er seinen Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden der SPD und gleichzeitig auch vom Amt des Bundesfinanzministers. Drei Tage später äußerte er sich zu seinen Motiven und verwies auf «das schlechte Mannschaftsspiel» im Kabinett und nannte als Beispiel für den fehlenden «Teamgeist» die Auseinandersetzungen um die Steuerpolitik.
Im Oktober 1999 veröffentlichte er die Schrift «Das Herz schlägt links», in der er seine politische Arbeit der letzten Jahre erläuterte und die Beweggründe für seinen Rückzug aus dem politischen Leben darlegte. Die Veröffentlichung stieß auf heftige Kritik innerhalb und außerhalb der SPD.
«In der Politik geht es nicht um Personen, sondern um Inhalte. Wenn die Inhalte nicht mehr stimmen, muss man konsequent sein.»
Der endgültige Bruch mit der SPD erfolgte am 30. Mai 2005, als Lafontaine aus der Partei austrat und kurz darauf in die neu gegründete Partei «Arbeit und soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative» (WASG) eintrat. Hauptgrund für diesen Schritt war seine fundamentale Ablehnung der Agenda 2010 und der Hartz-Reformen unter Kanzler Schröder.
Gründung der Linkspartei
Nach seinem Austritt aus der SPD begann Lafontaine ein neues Kapitel seiner politischen Karriere. Für die vorgezogene Bundestagswahl 2005 ging die WASG ein Wahlbündnis mit der PDS ein, die sich in «Die Linkspartei.PDS» umbenannte. Das Wahlbündnis «Die Linke.» erzielte bei der Bundestagswahl 8,7 Prozent der Wählerstimmen und bildete mit 54 Sitzen die viertstärkste Fraktion im Bundestag. Lafontaine teilte sich den Fraktionsvorsitz mit Gregor Gysi.
Am 16. Juni 2007 fand der Gründungsparteitag der Partei DIE LINKE statt, die aus der Fusion von WASG und Die Linkspartei.PDS hervorging. Lothar Bisky und Oskar Lafontaine wurden als Parteivorsitzende gewählt. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte DIE LINKE unter ihrer Führung 11,9 Prozent der Stimmen.
Doch auch in der Linkspartei kam es zu Konflikten. Im März 2022 gab Lafontaine seinen Parteiaustritt bekannt. Damit kam er einem möglichen Parteiausschluss zuvor, der ihm aufgrund von innerparteilichen Streitigkeiten drohte. Er kritisierte, dass die Partei keine «linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit» mehr sei.
Jahr | Partei | Position | Grund für Austritt/Wechsel |
1966-2005 | SPD | Parteivorsitzender, Finanzminister | Ablehnung der Agenda 2010 |
2005-2007 | WASG | Mitbegründer | Fusion mit PDS |
2007-2022 | DIE LINKE | Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender im Saarland | Innerparteiliche Konflikte, Kritik am Parteikurs |
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Persönliches Leben
Oskar Lafontaine war viermal verheiratet. Seine erste Ehe schloss er 1967 mit Ingrit Bachert, die Ehe wurde 1982 geschieden. Im selben Jahr heiratete er die Künstlerin Margret Müller, mit der er den Sohn Frederic bekam. Diese Ehe endete 1988. Seine dritte Ehe ging er 1993 mit Christa Müller ein, aus der ein weiterer Sohn hervorging. Die Ehe wurde 2013 geschieden. Seit Dezember 2014 ist Lafontaine mit der Politikerin Sahra Wagenknecht verheiratet.
Ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben war das bereits erwähnte Attentat am 25. April 1990, bei dem er lebensgefährlich verletzt wurde. Dieses Erlebnis hat ihn nach eigenen Aussagen stark geprägt.
Im Jahr 2009 musste Lafontaine aus gesundheitlichen Gründen den Fraktionsvorsitz im Bundestag abgeben. Er litt an Prostatakrebs, von dem er sich jedoch erholte. Seitdem konzentrierte er sich hauptsächlich auf die Landespolitik im Saarland.
«Das Attentat hat mich verändert. Es hat mir gezeigt, wie schnell alles vorbei sein kann, und mich gelehrt, das Leben bewusster zu leben.»
Neben seiner politischen Tätigkeit ist Lafontaine auch als Autor aktiv. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter «Angst vor den Freunden» (1983), «Die Gesellschaft der Zukunft» (1988), «Das Herz schlägt links» (1999) und «Die Wut wächst: Politik braucht Prinzipien» (2002).
Im Oktober 2021 teilte Lafontaine der Öffentlichkeit mit, seine politische Karriere beenden zu wollen. Er kritisierte unter anderem das sich seit 2015 langsam verändernde politische Profil der Linkspartei, welches nicht mehr seinem Anspruch an die Partei entspreche.
Politisches Erbe und Bedeutung
Oskar Lafontaines politisches Erbe ist vielschichtig und umstritten. Als einer der wenigen Politiker, die sowohl in der SPD als auch in der Linkspartei Führungspositionen innehatten, hat er die deutsche Linke maßgeblich geprägt und gleichzeitig gespalten.
Seine Kritik an der Agenda 2010 und sein Austritt aus der SPD haben zur Gründung der Linkspartei beigetragen und damit die politische Landschaft Deutschlands nachhaltig verändert. Die Existenz einer bundesweit relevanten Partei links von der SPD ist zu einem großen Teil sein Verdienst.
Gleichzeitig hat sein Bruch mit der SPD die Sozialdemokratie geschwächt und zu einer langanhaltenden Spaltung der linken Kräfte in Deutschland geführt. Kritiker werfen ihm vor, durch seinen Austritt und die Gründung einer Konkurrenzpartei die Durchsetzungsfähigkeit linker Politik insgesamt geschwächt zu haben.
Als Politiker war Lafontaine für seine rhetorischen Fähigkeiten und seine klaren Positionen bekannt. Seine Gegner kritisierten ihn als Populisten und Opportunisten, seine Anhänger schätzten ihn als prinzipientreuen Verfechter sozialer Gerechtigkeit.
In der Rückschau erscheint Lafontaine als eine der schillerndsten und kontroversesten Figuren der deutschen Nachkriegspolitik – ein Politiker, der polarisierte und provozierte, aber auch wichtige Debatten anstieß und den politischen Diskurs in Deutschland prägte.
«Ich habe immer nach meinen Überzeugungen gehandelt, auch wenn es politisch unbequem war. Das ist vielleicht das, was von mir bleiben wird.»
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Chronologie: Wichtige Stationen im Leben von Oskar Lafontaine
Datum | Ereignis |
16. September 1943 | Geboren in Saarlouis-Roden als Zwillingskind |
1962 | Abitur am Regino-Gymnasium in Prüm (Eifel) |
1962-1969 | Physikstudium an den Universitäten Bonn und Saarbrücken |
1966 | Eintritt in die SPD |
1974-1985 | Bürgermeister und später Oberbürgermeister von Saarbrücken |
1985-1998 | Ministerpräsident des Saarlandes |
25. April 1990 | Attentat bei Wahlkampfauftritt in Köln-Mülheim |
Dezember 1990 | Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl |
16. November 1995 | Wahl zum Bundesvorsitzenden der SPD |
Oktober 1998 | Ernennung zum Bundesfinanzminister |
11. März 1999 | Rücktritt als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister |
30. Mai 2005 | Austritt aus der SPD, Eintritt in die WASG |
16. Juni 2007 | Mitbegründer und Co-Vorsitzender der Partei DIE LINKE |
Dezember 2014 | Heirat mit Sahra Wagenknecht |
17. März 2022 | Austritt aus der Linkspartei |
Fazit
Oskar Lafontaine bleibt eine der faszinierendsten und widersprüchlichsten Figuren der deutschen Politik. Seine Karriere, die ihn vom SPD-Hoffnungsträger zum Mitbegründer der Linkspartei führte, spiegelt die Brüche und Wandlungen der deutschen Linken in den letzten Jahrzehnten wider.
Als brillanter Redner und scharfsinniger Analytiker hat er die politische Debatte in Deutschland über Jahrzehnte hinweg geprägt. Seine Kritik an der Globalisierung, am Neoliberalismus und an der Agenda-Politik der SPD hat wichtige Diskussionen angestoßen und zur Neuformierung der politischen Landschaft beigetragen.
Gleichzeitig bleibt sein Erbe umstritten. Die Spaltung der Linken, zu der er beigetragen hat, hat möglicherweise die Durchsetzungsfähigkeit progressiver Politik in Deutschland geschwächt. Seine zunehmend kritische Haltung in der Migrations- und Außenpolitik hat ihn auch von vielen früheren Weggefährten entfremdet.
Unabhängig von der Bewertung seiner Politik steht fest: Oskar Lafontaine hat die deutsche Politiklandschaft nachhaltig geprägt und wird als eine der markantesten politischen Persönlichkeiten der Bundesrepublik in Erinnerung bleiben.
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