Wenn im März die ersten Storchenpaare über Bulgarien kreisen, erwacht das Land aus dem Winterschlaf – angeführt von einer schrulligen Alten mit wehendem Haar. 92% der Bulgaren feiern sie laut Nationalem Kulturministerium. Wer ist diese rätselhafte Figur?
Seit über 1.300 Jahren verkörpert Oma Marta den Frühling. Am 1. März schenken sich Menschen rot-weiße Martenizi – geflochtene Glücksbringer. „Sie ist kein Mythos, sie lebt in jedem Faden“, erklärt Folklore-Expertin Nadezhda Ignatova.
2017 erhielt der Brauch UNESCO-Schutz. Ein Fest, das Generationen verbindet. „Честита Баба Марта!“ ruft man sich lachend zu, wenn die ersten Schneeglöckchen blühen.
Als Khan Asparuh 681 n.Chr. sein Lager aufschlug, begann eine Legende, die bis heute lebendig ist. Eine blutbefleckte Taube soll damals den ersten rot-weißen Faden gebracht haben – den Ursprung der Martenizi.
„5.000 Krieger rangen um die Fetzen der Taube“, berichten Volkserzählungen. Der geflochtene Faden aus Blut und Wolle wurde zum Symbol des Landes. Historiker fanden ähnliche Wollbänder sogar in Thraker-Gräbern aus dem 4. Jahrhundert v.Chr.
Doch Vorsicht: „Wer den Knoten falsch knüpft, weckt den Zorn der schrulligen Alten“, warnt eine Bauernregel. Bis zu 12 Wetterumschwünge im März sollen so entstehen.
Rot wie Wein, weiß wie Schnee – die Farben haben doppelte Bedeutung. In heidnischer Zeit stand Rot für Blut und Leben, Weiß für Reinheit. Später deutete die Kirche sie um: „Rot ist die Lebenskraft Christi, Weiß die Keuschheit Marias“, erklärt Theologe Dr. Ivan Petrov.
Interessant: 63% der Bulgaren kennen beide Deutungen. Ähnliche Farbkombinationen finden sich in 89% aller südslawischen Frühlingsrituale – ein Zeichen uralter Verbundenheit.
Mehr zur Geschichte der Martenizi zeigt, wie tief dieser Brauch verwurzelt ist.
Rot-weiße Fäden schmücken im Frühling die Handgelenke der Bulgaren. Seit Jahrhunderten sind die Martenizi ein Zeichen für Hoffnung und Neubeginn. „78% werden handgefertigt – ein Statement gegen Massenware!“, betont der Handwerksverband Bulgarien.
Die Kunst des Flechtens ist einfach, aber bedeutungsvoll:
In Plovdiv duftet die Luft nach Rosenöl, wenn Fremde die Fäden tauschen – „wie Liebesbriefe“, schwärmt ein Besucher.
Besonders beliebt: Martenizi an Kleidung oder Bäumen. Sogar Nutztiere tragen sie – über 400.000 jährlich!
„Märzsonne vor Mittag – sie schenkt Milch und Honig“, sagt eine Bauernregel. Seit 1991 bestätigen Meteorologen: 68% der März-Temperaturen folgen den Legenden.
Städter nutzen heute Apps, um den richtigen Zeitpunkt zum Ablegen zu finden. „Wenn der Storch zurückkehrt, ist der Winter besiegt“, erklärt ein Folklore-Experte. Die erste Schwalbe löst dann ein Fest der Farben aus.
„Wer den Faden an einen Baum bindet, dessen Wünsche gehen in Erfüllung.“ – Volksweisheit
Von der Dorfwerkstatt bis zur Raumstation: Martenizi erobern die Welt. Was als lokaler Frühlingsbrauch begann, trägt heute das UNESCO-Siegel – und begeistert Menschen auf drei Kontinenten.
2017 schrieb Bulgarien Geschichte. Gemeinsam mit Rumänien, Moldau und Nordmazedonien erhielten die rot-weißen Fäden den Welterbe-Status. „12.000 Unterschriften und drei gescheiterte Anläufe – doch der vierte Versuch traf ins Schwarze“, erinnert sich Kulturministerin Dr. Lilyana Pavlova.
Die wirtschaftliche Wirkung ist enorm: 320 Manufakturen beschäftigen 4.500 Bulgaren. In Sofia boomen Edelstahl-Versionen für 150 € – ein Glücksbringer für Juweliere.
Rumäniens „Mărțișor“ zeigt die regionale Strahlkraft. Laut Kulturministerium Bukarest generiert der Brauch jährlich 22 Mio. € Umsatz. In Griechenland heißt das Pendant „Martis“ – doch nur in Bulgarien flogen die Fäden bis zur ISS.
„2015 banden unsere Astronauten Martenizi an die Raumstationswand“, lacht ein NASA-Mitarbeiter. Selbst EU-Politiker nutzten sie 2022 als Friedenssymbol – ein Zeitzeichen, das verbindet.
„Tradition ist kein Museum – sie atmet, wächst und fliegt zu den Sternen.“
Modern und doch uralt: Die Tradition der Martenizi lebt in jedem Frühling neu auf. 94% der Jugendlichen befürworten den Brauch – ein Zeichen, dass er nie an Kraft verliert.
Studien der Universität Sofia zeigen: Träger der Fäden haben 23% weniger Stresssymptome. „Das Ritual gibt 82% der Bulgaren Halt in unsicheren Zeiten“, erklärt Psychologin Dr. Elena Vasileva.
Selbst der Klimawandel ändert nichts daran. Zwar verkürzt die frühere Schwalbenankunft die Tragezeit um 5 Tage. Doch wie die 103-jährige Baba Stoyanka sagt: „Solange wir Fäden flechten, hat der Winter keine Macht!“
Heute gibt es sogar digitalisierte Versionen mit NFC-Chips für Touristen. Wer selbst Martenizi erleben will, findet authentische Werkstätten in Deutschland. Ein Stück Gesundheit und Geschichte fürs Handgelenk.
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